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Filter setzen Circular Economy

Klär­anlage Bottrop: Vom Strom­fresser zum hybriden Kraft­werk

Mit einer Fläche von 270.000 Quadratmetern gilt das Emscherklärwerk in Bottrop als eine der größten Kläranlagen Europas. Die Anlage der Emschergenossenschaft (EGLV) bringt es dabei mühelos auf einen Gesamt-Strombedarf von rund 35 Millionen Kilowattstunden pro Jahr – dem Verbrauch einer Kleinstadt mit 25.000 Menschen. Das klingt alles andere als nachhaltig. Und doch geht es hier um Vorzeigeprojekt in Sachen grüne Energie. Denn als Deutschlands erstes vollständig energieautarkes Großklärwerk hat die Anlage den gewaltigen Sprung zum hybriden Kraftwerk gemeistert. Eine Leistung, die auch für 70.000 Tonnen eingespartes CO2 steht. Jahr für Jahr.

Gefördert im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie: Umweltwirtschaft Green Economy - stark in NRW

Essener Innenstadt, Stadthafen, Gasometer Oberhausen, Kokerei Prosper, die Arena Auf Schalke. Dazwischen: jener typische Ruhrgebiets-Mix aus Metropole und Grün. Es ist alles da. Und doch macht vielleicht gerade die Tatsache, dass etwas fehlt, den Blick von einem der vier „Bottroper Eier“, den Wahrzeichen des Klärwerks im Stadtteil Welheim, so besonders. 

Das, was fehlt, ist jener wenig angenehme Geruch, den man gemeinhin mit einer Kläranlage assoziiert. Tatsächlich erinnert einzig das Gaswarngerät in der Hand von Betriebsmanager Eberhard Holtmeier daran, dass in den Eiern Klärschlamm ausfault und wenige Meter weiter in drei hochmodernen „Straßen“ bis zu 8.500 Liter Abwasser pro Sekunde mechanisch und biologisch gereinigt werden. 

8.500Liter Abwasser pro Sekunde
160.000Tonnen Klärschlamm

Klärschlamm und Faulgas – das sind die beiden wichtigsten Potenziale einer Kläranlage. Von beidem gibt es in Bottrop reichlich: Am Standort läuft das Abwasser von gut 1,34 Millionen sogenannten Einwohnergleichwerten zusammen. Dieser Begriff ermöglicht die Vergleichbarkeit von Abwasser aus privaten Haushalten mit jenem industrieller Herkunft. Das Abwasser kommt aus Teilen von Bottrop, Gladbeck, Recklinghausen, Gelsenkirchen und Essen. Zusätzlich wird per Pipeline Klärschlamm aus den Klärwerken Emschermündung in Dinslaken und Alte Emscher in Duisburg zugeliefert.

Alles in allem geht es um den Klärschlamm aus dem Abwasser von rund 3,5 Millionen Einwohnergleichwerten. Was wie ein Nachteil klingt, ist indes genau das Gegenteil. Denn so können rund 160.000 Tonnen Klärschlamm jährlich zum energetischen Betrieb der Anlage genutzt werden. Allein in den vier Faultürmen entstehen pro Jahr über neun Millionen Kubikmeter methanhaltiges Klärgas, das über ein Blockheizkraftwerk verstromt oder in der Vergangenheit auch schon anteilig zu Bio-Erdgas für den Fuhrpark umgewandelt wurde. Der Schlamm selbst wird entwässert, getrocknet und vor Ort thermisch verwertet.

28 Mio.Kilowattstunden Jahresverbrauch

„Kläranlagen sind in der Regel die größten Verbraucher einer Kommune“, erläutert Holtmeier. Energiemanager Niklas W. Höing hat die entsprechenden Zahlen: „Allein die Kläranlage kommt auf einen Jahresverbrauch von 28 Millionen Kilowattstunden. Schlammentwässerung und Solarthermie schlagen mit etwa zwei bzw. bis zu knapp sieben Millionen Kilowattstunden zu Buche.“ Kein Wunder, dass bei Kläranlagenbetreibern weltweit das Thema Energie ganz oben auf der Agenda steht. Holtmeier: „Die Nutzung von Faulgas ist dabei nicht unbedingt das Innovative, das machen eigentlich alle. 

Was uns auszeichnet ist, dass wir über diesen Prozess hinausschauen.“ Mit Erfolg: Die Anlage deckt über einen Mix aus unterschiedlichen grünen Energieträgern mittlerweile den eigenen Bedarf vollständig ab. Und in seiner Bandbreite ist das Bottroper Konzept im deutschen Abwassersektor tatsächlich bislang einmalig.

Seit knapp einem Jahrzehnt treibt die EGLV diesen ganzheitlichen Umdenkprozess in Bottrop dezidiert voran. Seit 2016 hat das Klärwerk etwa eine eigene Windenergieanlage, die mit einer Leistung von 3,1 Megawatt speziell auf Schwachwindzonen ausgelegt ist.

„Hier haben wir im vergangenen Jahr mit 6,3 Millionen Kilowattstunden Rekordzahlen erzielt, ansonsten lagen wir im Durchschnitt etwa bei 5,5 Millionen“, berichtet Höing. Noch ausbaufähig, gesteht er, sei das Thema Photovoltaik. „Hier kommen wir auf derzeit 500 Quadratmeter Photovoltaik mit einer jährlichen Leistung von 40 Kilowatt Peak.“

Niklas Höing

Weitere PV-Aufdachanlagen sollen zukünftig zusätzliche 700 Kilowatt Peak einspeisen. Ein anderer, wichtiger Baustein ist das so genannte Repowering, sprich: effizientere Maschinen. Vier neue Blockheizkraftwerk-Module etwa sorgen seit 2017 mit einer Leistung von jeweils 1,2 Megawatt bei gleicher Vollgasmenge für mehr Strom als früher, allein im vergangenen Jahr für rund 25 Millionen Kilowattstunden. Höing: „In der Klärschlammverbrennung wiederum haben wir vor sieben Jahren die Dampfturbine ausgetauscht. Und das damals schon mit Blick auf die solarthermische Trocknungsanlage, die 2020 den Betrieb aufgenommen hat.“

Wie effizient die einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, zeigt sich wenig später. Höing weist auf einen Teil der Anlage, in dem sich so gut wie nichts regt. „Das sind unsere Kühler für die Dampfturbine. Früher wären die bei diesem warmen Wetter durchgelaufen, weil wir die Wärme nicht nutzen konnten, sondern an die Atmosphäre abführen mussten. Jetzt wird die Abwärme der Dampfturbine rübergefahren in die solarthermischen Klärschlammtrocknungsanlage.“ Dort kommt die Niedertemperaturwärme von 65 Grad, mit der in Industrieprozessen ansonsten wenig anzufangen ist, genau richtig: „Damit können wir die Hallen auf bis zu 50 Grad aufheizen.“  

Besagte Hallen, insgesamt sind es 32, erinnern an riesige Gewächshäuser. Mit einer Netto-Trockenfläche von rund 40.000 Quadratmetern, ausgelegt für bis zu 220.000 Tonnen Schlamm pro Jahr ist die Anlage derzeit die weltweit größte ihrer Art. Höing: „Ursprünglich haben wir den Klärschlamm nur entwässert. 

Mehr war früher nicht notwendig, denn der Schlamm beinhaltete viel Kohle und hatte einen hohen Heizwert.“ Mit dem Ende des Bergbaus ging dieser Vorteil verloren – „deshalb haben wir dem Schlamm zunächst jährlich gut 20.000 Tonnen Kohle zugesetzt“. 

Ein Plus in Sachen Brennwert, ein klares Minus in puncto CO2-Reduktion. Die nachhaltige Lösung: trockenerer Schlamm ohne Kohle. Und deshalb folgt auf die Pressen nun noch die Solarthermie. „Wir nutzen dafür die Bottroper Sonne und die Abwärme aus den Verbrennungsprozessen. Allein damit können wir bereits knapp 60.000 Tonnen CO2-Emissionen einsparen.“ Die übrigen energetischen Maßnahmen spülen gut und gerne weitere 10.000 Tonnen auf das Haben-Konto.

Und das Thema grüne Energiegewinnung ist längst noch nicht abgeschlossen, wie Holtmeier erklärt: „Wir wollen zukünftig Wärme aus dem gereinigten Abwasser gewinnen. Dazu wollen wir am Ablauf eine Anlage nach Wärmepumpen-Prinzip errichten, die Prozesswärme erzeugt. 

Die können wir für die Optimierung der Faulung oder der Solarthermie nutzen.“ Man prüfe derzeit zudem, ergänzt Höing, ob es im Umfeld weitere Abnehmer für die Abwasserwärme geben könnte. Stichwort: Fernwärme. Hier sei man unter anderem im Gespräch mit dem Stadtentwicklungsprojekt Freiheit Emscher, das in unmittelbarer Nähe des Klärwerks auf der Stadtgrenze Essen/Bottrop realisiert werden soll. Aus dem Entsorger könnte damit ein Versorger für die Region werden.

Im Standort steckt also jede Menge Dynamik. Auch im Hinblick auf neue Technologien: Denn die Kläranlage Bottrop eignet sich hervorragend dazu, „Reagenzglaslösungen aus dem Labor“, wie es Holtmeier formuliert, in größerer Skalierung zu testen. Das gilt für E-Fuels ebenso wie für die Erzeugung von Wasserstoff oder – ganz aktuell – die Phospor-Rückgewinnung. Einmal mehr profitiert die Großanlage dabei von ihrer zentralen Lage mitten in der Metropole Ruhr. Holtmeier: „Im Ruhrgebiet sind wir in einer sehr guten Position. Hier gibt es die notwendige Forschung, aber auch den entsprechenden Industrialisierungsgrad. Und: Wir sind sehr gut vernetzt mit den Universitäten der Region und des Landes, etwa mit der RWTH Aachen und der Universität Duisburg-Essen. Diese enge Vernetzung ist ein enormer Vorteil.“ 

 

Noch in diesem Jahrzehnt will die Emschergenossenschaft bei all ihren Anlagen Energieautarkie erreichen. Emscherweit soll zudem ein einheitliches digitales Prozessleitsystem ausgerollt werden, um qualitativ hochwertigere Daten zu erhalten. Das Klärwerk in Bottrop fungiert dabei als eine Art Blaupause – und dass auch weltweit für die Wasserwirtschaft in Metropolen. Am Hybridkraftwerk Emscher ist also alles im Fluss. 

Von der Kloake zum blauen Fluss: Emscher-Renaturierung

Die energetische Neuausrichtung des Klärwerks Bottrop wurde 2016/2017 mit dem Projekt „Vom Klärwerk zum Kraftwerk“ initiiert. Der Umbau zu einem klimaneutralen Hybridkraftwerk war dabei auch ein wichtiger Baustein in der drei Jahrzehnte dauernden Neugestaltung des Emschersystems. Nach rund 170 Jahren sind die Emscher und ihre Nebenläufe seit 2022 wieder komplett abwasserfrei. 

Text: Redaktionsbüro Schacht11  
Bilder: Andreas Fritsche, Kirsten Neumann, Klaus Baumers, Ilias Abawi, EGLV

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