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Filter setzen Metropole Ruhr

„Wir sehen das Hoch­wasser schon in seiner Ent­stehung“

Extreme Wetterverhältnisse – Dürren ebenso wie Starkregen – sind fühlbare Folgen des menschengemachten Klimawandels. Und sie münden schon heute vielfach in Katastrophen, etwa in die jüngsten dramatischen Hochwasser-Ereignisse an der Erft und ihren Nebenflüssen. Ereignisse, die mehr als deutlich gemacht haben, wie wichtig mittlerweile das regelmäßige Monitoring auch kleinerer Bäche ist. Denn die fließen in Sachen Pegel-Messung und Frühwarnung bislang vielfach noch unter dem Radar. Das Bochumer Unternehmen Okeanos Smart Data Solutions nimmt im Auftrag von Kommunen und Verbänden mit der KI-basierten Lösung „Netilion Hochwasser Monitoring“ genau diese sogenannten Gewässer dritter Ordnung gezielt in den Blick. Eine KI wertet dabei die Daten von smarten und minimal invasiver IoT Messtechnik aus, um das zu gewinnen, was in solchen Extremfällen mit am wichtigsten ist: Zeit.

Gefördert im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie: Umweltwirtschaft Green Economy - stark in NRW

Wie können wir KI einsetzen, um Modellierungen zu optimieren? So lautete die zentrale Frage, mit der sich Dr.-Ing. Henning Oppel und Dr.-Ing. Benjamin Mewes, Gründer und Geschäftsführer von Okeanos, bereits im Rahmen ihrer Promotionen an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) auseinandergesetzt haben. Oppel im Bereich Hydrologie, also Hochwasservorhersage; Mewes auf dem Feld der Wasserwirtschaft, also mit Blick auf Verteilungsfragen und Ressourcenplanung. KI-Lösungen in der Wasserwirtschaft – ein Novum, „das zu diesem Zeitpunkt, 2016/2017, auf dem Markt noch nicht angekommen war“, erinnert sich Oppel. 2019 erfolgte die gemeinsame Ausgründung. Seitdem entwickelt Okeanos digitale Anwendungen, in denen Ingenieurswissenschaft und Informationstechnik zusammenlaufen und die sich – bewusst plattformunabhängig konzipiert – in bereits bestehende IT-Infrastrukturen integrieren lassen. „Kurz gesagt: Wir entwickeln KI-basierte Software für die Wasserwirtschaft. Wir versuchen, Probleme zu lösen.“

Eines dieser Probleme ist die Hochwasserfrühwarnung an Gewässern dritter Ordnung, also kleineren Flüssen und Bächen, die nicht in die Zuständigkeit der Länder oder des Bundes fallen, sondern an denen Kommunen und Landkreise aktiv werden müssen. „Dort gibt es in aller Regel kein Monitoring und keine Pegel. Zum einen, weil das recht teuer ist. Zum anderen, weil Pegel auch betrieben werden müssen, das heißt, es muss jemanden geben, der aus den Informationen – und die gelten dann auch nur für einen Punkt – eine klassische Hochwasserprognose macht.“ Die Folge: Es fehlt an einem Frühwarnsystem. Ein Manko mit dramatischen Folgen. „Bei der Hochwasserkatastrophe 2021 zum Beispiel sind gerade auch an den Nebengewässern der Erft enorme Schäden entstanden. Da gab es keine Prognose, da war niemand zuständig. Und genau da setzen wir an. Und wir setzen zu einem sehr frühen Zeitpunkt an, denn wir messen mit ,Netilion Hochwasser Monitoring‘ bereits die Hochwasserentstehung.“ 

45Minuten Vorwarnzeit dank KI

Das von Okeanos entwickelte Verfahren kombiniert Datenerfassung und KI-basierte Prognose. Das Besondere: „Wir beginnen die Messung nicht im Gewässer, sondern wir fangen damit an, den Niederschlag zu messen. Wir messen die Bodenfeuchte und dann den Wasserstand. Das heißt, wir messen im Einzugsgebiet eines Baches an unterschiedlichen Punkten und in unterschiedlichen Bereichen. Wir messen, dass es dort jetzt tatsächlich regnet, und wir sehen, wenn im Boden etwas passiert. Und wir sehen auch, wenn das Wasser im Bach ankommt. Gerade durch diese Kombination der Daten, die in unserer Cloud zusammenlaufen und von unserer KI ausgewertet werten, ist unsere Lösung dann in der Lage, frühzeitig vor einem Hochwasser zu warnen. Und das selbst in ganz kleinen oder bei sehr schnell reagierenden Gewässern.“

Im Auftrag der Emschergenossenschaft (EGLV) überwacht das System von Okeanos beispielsweise den Borbecker Mühlenbach in Essen und meldet mögliche Gefahren unmittelbar an die Hochwasserzentrale der EGLV. „Das Einzugsgebiet des Baches ist im Prinzip der Parkplatz vor der Messe Essen und der Grugapark. Hier kommen wir jetzt auf 45 Minuten Vorwarnzeit, und mehr ist physikalisch auch gar nicht drin. Es beginnt zu regnen, und eine Dreiviertelstunde später ist das Wasser dann auch unten.“ 45 Minuten Vorlaufzeit also, um das Gelände im Ernstfall zu räumen. Ein enormes Plus in einer Situation, in der jede Minute zählt. „Wir können unterscheiden zwischen ,Es kommt  Regen‘ und ,Es entsteht gerade ein Hochwasser‘. Und das geht über die Leistung vieler anderer Lösungen hinaus. Wir sehen das Hochwasser schon in seiner Entstehung, und dadurch bekommen wir diesen Zeitvorteil, den andere Systeme nicht haben.“

„Einen besseren Standort für das Thema Wasserwirtschaft als NRW, als das Ruhrgebiet habe ich in Deutschland noch nicht gefunden.“

Dr.-Ing. Henning OppelGründer und Geschäftsführer okeanos

Um so exakte Daten wie möglich liefern zu können, muss die KI die jeweils charakteristische Hydrologie im Einsatzgebiet kennlernen, der Algorithmus muss also individuell trainiert werden. „Das dauert etwa ein Jahr.“ Die Datenerfassung selbst erfolgt vor Ort via IoT-Messtechnik (IoT – Internet of Things). Also über autarke Geräte, die keinen Strom- und keinen Internetanschluss benötigen, sondern dank Akku und SIM-Karte bereits alles Notwendige „on board“ haben. Und das quasi im Taschenformat – „die Wasserstands-Sensoren sind gerade mal so groß wie eine Hand“. Was wichtige Vorteile hat: „Für die Installation müssen keine Kabel verlegt werden, wir können die Geräte einfach so gut versteckt positionieren. Das senkt letztlich auch die Kosten für das System, denn sobald irgendetwas gebaut werden muss, gerade im Gewässerbereich, wird es sehr teuer. Und wir wollen ja auch nicht die Bach- und Flussbereiche zubetonieren.“

Seit Anfang dieses Jahres ist „Netilion Hochwasser Monitoring“ offiziell am Markt. Über verschiedene Projekte in Pilotkommunen haben die Bochumer Expertinnen und Experten zuvor versucht, möglichst viele unterschiedliche regionale Bedingungen aufzugreifen – von der bergigen, naturbelassenen Bachlandschaft im Südschwarzwald bis hin zur Urbanität des Ruhrgebiets. Das Interesse an der Entwicklung, sagt Oppel, sei groß. „Gerade im Einzugsgebiet der Erft, in Ostwestfalen-Lippe, einfach da, wo Hochwasser vermehrt eine Rolle spielt, treffen wir auf offene Ohren.“ Mittlerweile ist die Mannschaft des Start-ups auf 17 Personen angewachsen. Expertinnen und Experten aus den Bereichen Umweltingenieurswesen, Umweltwissenschaften und Informatik, auf deren Agenda derzeit Themen wie eine Verkürzung der KI-Einlernphase sowie eine Ausdifferenzierung der Prognose stehen: Welche Straßen sind voraussichtlich betroffen, wie hoch wird der Wasserstand?

Ein Großteil des Teams hat an der RUB, der Universität Duisburg-Essen oder der FH Dortmund studiert – und Oppel ist stolz darauf, dass Okeanos als junges Unternehmen die Fachkräfte in der Region halten kann. Was einerseits an der Unternehmensstruktur liege – „ich bin unter 40 und hier der Älteste“ – aber auch am Thema: „Gerade im Umweltbereich bieten wir eine Alternative zu den klassischen Karrierewegen einer Ingenieurin oder eines Ingenieurs.“ 

Nicht zuletzt könne auch die Metropole Ruhr selbst punkten: „Einen besseren Standort für das Thema Wasserwirtschaft als NRW, als das Ruhrgebiet habe ich in Deutschland noch nicht gefunden.“ Schon seit der Industrialisierung widme sich die Region zwingend auch dem Thema Wasser und habe deshalb eine entsprechende unternehmerische Expertise vorzuweisen. „Die Einwohnerdichte und die hiesigen Herausforderungen sind relativ einmalig. Von daher ist das Ruhrgebiet ein sehr guter Ort für Leute mit neuen Ideen. Das hat uns auch geholfen, uns so schnell ein so gutes Standing zu erarbeiten.“

Hilfreich sei zudem die Tatsache, dass das Land NRW die Zuständigkeit an unterschiedliche Wasserverbände abgegeben habe, so dass Aufgaben „flussweise“ angegangen werden könnten. „Das heißt, es gibt nicht eine einzige Stelle, die nicht weiß, wo sie anfangen soll, wie wir es in anderen Bundesländern erleben, sondern es gibt jeweils eigene Verantwortlichkeiten. Und allein das liefert uns den Spielraum, auch einmal Neues ausprobieren zu können und Experimente zu wagen. Denn nur so kommt man letztlich bei diesen wichtigen Themen weiter.“

Entwicklungskooperation

Auch das ist nicht selbstverständlich: Als junges Start-up aus dem Ruhrgebiet hat Okeanos mit dem Traditionsunternehmen Endress+Hauser einen etablierten, international agierenden Partner aus dem Bereich Messgeräte und Füllstandstechnik an seiner Seite.

Text: Redaktionsbüro Schacht11  
Bilder: okeanos, Thorben Uschan

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