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Filter setzen Metropole Ruhr

Grüne Chemie aus dem Ruhr­gebiet im erfolg­reichen Ein­satz gegen ein Jahr­hundert­gift

Sechs der neun planetaren Belastbarkeitsgrenzen gelten derzeit als überschritten, darunter auch die der „NovelEntities“, der Freisetzung von neuartigen Substanzen. Gemeint sind damit Stoffe, die vom Menschen in die Umwelt gebracht werden – Mikroplastik etwa, Farbstoffe oder Pestizide. Für Probleme sorgt hier nicht allein ihre bloße Anzahl. Besonders perfide ist die Tatsache, dass viele dieser Substanzen nicht durch natürliche Prozesse wieder abgebaut werden können. Das Essener Unternehmen Cornelsen Umwelttechnologie rückt einer dieser Stoffgruppen, den umstrittenen per- oder polyfluorierten Alkylsubstanzen, kurz: PFAS, durch ein bislang einzigartiges Verfahren gezielt zu Leibe. Und das komplett umweltneutral.

Gefördert im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie: Umweltwirtschaft Green Economy - stark in NRW

Sie stecken in Outdoor-Kleidung, Ofenreinigern, Litium-Ionen-Batterien, Lackfarben oder Imprägniersprays: Rund 10.000 verschiedene Stoffe gehören zur Gruppe der sogenannten PFAS. Expertinnen und Experten sprechen auch von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) oder perfluorierten Tensiden (PFT). Kein Name trifft den Kern der Herausforderung jedoch wohl so gut wie die Bezeichnung „Ewigkeitschemikalien“. Denn einmal freigesetzt wird man PFAS so schnell nicht mehr los. Sie belasten die Umwelt für Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte.

10.000verschiedene Stoffe gehören zur Gruppe der sogenannten PFAS

Vereinfacht gesagt handelt es sich bei PFAS um unterschiedlich lange Kohlenstoffverbindungen, bei denen die Wasserstoff-Atome teilweise (polyfluoriert) oder gänzlich (perfluoriert) durch Fluor-Atome ersetzt wurden. Das Ergebnis hält quasi „bombenfest“. Soll heißen: Kohlenstoff und Fluor wieder zu trennen, ist alles andere als einfach. 

Und genau diese Beständigkeit, diese Persistenz, berichtet Dr.-Ing. Martin Cornelsen, Geschäftsführer von Cornelsen Umwelttechnologie, „ist eine der zentralen Charaktereigenschaften, deretwegen diese Stoffe vor etwa 70 Jahren erstmals von Chemikerinnen und Chemikern synthetisiert wurden – und die sie so gefährlich und toxikologisch so relevant macht.“  

Dr.-Ing. Martin CornelsenGeschäftsführer von Cornelsen Umwelttechnologie

Denn was bakteriell nicht abgebaut werden kann, resistent auch gegen Luft, Wasser oder Licht ist, und allenfalls bei Temperaturen von 1.100 Grad Celsius in Hochtemperaturverbrennungsöfen von Sondermüllanalgen rückstandsfrei zerfällt, reichert sich über kurz oder lang in der Umwelt und in Organismen an. Einzelne Stoffe der Gruppe lösen sich darüber hinaus gut im Wasser, bleiben auch im Boden mobil und erreichen so schnell das Grundwasser. Mit gravierenden Folgen: Die human- und ökotoxikologische Wirkung von PFAS ist unbestritten. Ein Jahrhundertgift, dessen Verbot die Europäische Union stetig weiter vorantreibt.

1.100Grad Celsius in Hochtemperaturverbrennungsöfen

Aber warum kommen derart gefährliche Stoffe überhaupt zum Einsatz? „Weil sie nicht nur extrem beständig sind, sondern zugleich auch öl- und wasserabstoßend, was man als kombinierte Eigenschaft ansonsten so nicht findet. Und das schätzen wir an vielen Produkten des täglichen Lebens“, sagt Cornelsen. Das gilt für die wasserabweisende Hose ebenso wie für Schaumlöschmittel, in denen Fluortenside die Löschwirkung erhöhen. 

Das Dilemma lautet wie so oft: Es geht nicht mit, aber noch nicht ohne. Daher gilt es, Nutzen und Nachteile abzuwägen. Würde ein genereller Verzicht auf PFAS, so Cornelsen, etwa die aktuelle Entwicklung in der Medizintechnik oder in der zukunftsrelevanten Brennstoffzellen-Technologie um Jahrzehnte zurückwerfen, ist ein PFAS-Verbot an anderer Stelle bereits Fakt: Bis Juli 2025 müssen Schaumlöschmittel nahezu PFAS-frei sein – „was auch bedeutet, dass Löschanlagen bis dahin dekontaminiert werden müssen“, sagt Cornelsen.

Sein Unternehmen hat sich genau darauf spezialisiert: auf die Reinigung von Systemen sowie insbesondere auf die Aufbereitung von kontaminierten Wässern. Er kommt also dann ins Spiel, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, wenn die PFAS wieder raus müssen – aus industriellem Abwasser, Deponiesickerwasser oder eben Feuerlöschwasser, stationären Löschanlagen oder Feuerwehrfahrzeugen. 

Der hier etablierte Weg folgt normalerweise dem Prinzip der Adsorption: Die PFAS-Moleküle werden über den Einsatz von Aktivkohle „abgefangen“, gesammelt und dann gemeinsam mit dem Filter vernichtet. Ein Vorgehen, das angesichts gut wasserlöslicher PFAS nicht immer optimal funktioniert. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut UMSICHT aus Oberhausen hat sich Cornelsen 2008 daher an die Entwicklung einer Alternative gemacht, die nicht auf dem Adsorptions-Verfahren beruht.

Das Ergebnis: PerfluorAd, ein patentierter Flüssigwirkstoff, der eine Ausfällreaktion hervorruft. Das heißt, die im Wasser gelösten PFAS werden durch Zugabe von PerfluorAd in eine unlösliche Form überführt, konkret: „in kleine Flöckchen“, die sich als feste Bestandteile dann deutlich einfacher und mit weniger Aktivkohle aus dem Wasser herausfiltern lassen. „Ein weiterer, wesentlicher Vorteil besteht darin, dass wir mit einer grünen Chemikalie arbeiten, die sich je nach Schwere der Verunreinigung dosieren lässt, biologisch selbst vollständig abbaut und keine zusätzliche Belastung für Wasser und Umwelt darstellt.“ 2015 kam der Wirkstoff erstmals in einer Pilotanlage zum Einsatz, mittlerweile verkauft Cornelsen die Entwicklung aus dem Ruhrgebiet heraus weltweit. 2021 erst wurde eine erste komplette PerfluorAd-Anlage in die USA geliefert. „Es war aber von Anfang an unser Ziel, einen Hilfsstoff zu entwickeln, der technologieunabhängig und damit kostengünstig auch in bereits vorhandenen Anlagen genutzt werden kann.“

2015kam der Wirkstoff erstmals in einer Pilotanlage zum Einsatz
2021wurde eine erste komplette PerfluorAd-Anlage in die USA geliefert

Produziert wird PerfluorAd dabei regional – im Ruhrgebiet, „ganz konkret in der MEO-Region“, also im Einzugsgebiet der Städte Mülheim an der Ruhr, Essen und Oberhausen. Und das aus Prinzip. „PerfluorAd ist eine Innovation aus dem Ruhrgebiet. Es wird vermarktet durch ein Unternehmen aus dem Ruhrgebiet. Und es wird hergestellt im Ruhrgebiet. Mehr Metropole Ruhr geht nicht. Und mehr kann ich aus meiner Sicht nicht tun, um meinen Beitrag für die heimische Wirtschaft zu leisten“, resümiert Cornelsen – und legt dann doch noch einmal nach. Denn das Vorhaben ist noch längst nicht zu Ende gedacht. 

205.000 Euro aus dem EFRE/JTF-Programm „GreenEconomy.IN.NRW

Im Gegenteil: Die erfolgreiche regionale Kooperation mit dem Fraunhofer UMSICHT wird fortgesetzt. „Das Land NRW hat uns aktuell eine Forschungsförderung für ein neues Projekt zugesagt. Unser Ziel ist es, den Prozess über eine intelligente Mess- und Steuerungstechniksowie ein optimiertes Reaktordesign weiterzuentwickeln.“ Dafür erhält das Unternehmen finanzielle Mittel in Höhe von rund 205.000 Euro aus dem EFRE/JTF-Programm „GreenEconomy.IN.NRW“. Die grüne Chemie aus dem Ruhrgebiet wird in ihrem erfolgreichen Einsatz gegen ein Jahrhundertgift also auch weiter von sich reden machen.   

Auszeichnung: Umweltwirtschaftspreis NRW  

Cornelsen Umwelttechnologie belegte im Jahr 2022 den dritten Platz beim Umweltwirtschaftspreis.NRW. Der Wettbewerb richtet sich insbesondere an kleine und mittlere Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, „die nachhaltige und innovative Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren entwickeln und sich erfolgreich am Markt behaupten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Klima- und Umweltschutz und der Anpassung an den Klimawandel, dem Innovationscharakter, dem Nutzen für die Gesellschaft und dem wirtschaftlichen Erfolg“.  

 

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