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Filter setzen Metropole Ruhr

Schwamm­stadt-Konzept: Ein klares Plus für das städtische Mikro­klima

Möglichst schnell in die Kanalisation einleiten und dann weg damit: Siedlungswasserwirtschaft funktionierte lange Zeit genau nach diesem Prinzip. Klimaanpassung und Starkregen-Ereignisse jedoch stellen die Stadtplanung vor neue Herausforderungen. Wer hier zukunftsfähig agieren will, brauche Interdisziplinarität und flexible Konzepte, sagt Alexander Brunne, Ingenieur bei der dr. papadakis GmbH.  Das Essener Unternehmen hat in Bochum beim Umbau einer innerstädtischen Verkehrsachse ein modernes Konzept für die Regenwasserbewirtschaftung umgesetzt und dafür ein herkömmliches Mulden-Rigolen-System modifiziert. Das Vorhaben zahlt auf ein zentrales Nachhaltigkeitsziel Bochums ein: die Entwicklung hin zur Schwammstadt.

Gefördert im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie: Umweltwirtschaft Green Economy - stark in NRW

Strom, Gas, Wasser, Fernwärme, Kanal- und Straßenbau: Als im Sommer 2023 nach insgesamt gut drei Jahren Bauzeit auch das letzte Teilstück der Hattinger Straße in Bochum wieder für den Verkehr freigegeben wurde, endete eines der umfangreichsten lokalen Bauprojekte der vergangenen Jahre. 

Angegangen waren Stadt und Stadtwerke bei der Sanierung der zentralen Verbindungsachse Richtung Bochumer Südwesten tatsächlich gleich das komplette Paket – verbunden auch mit einem wichtigen Beitrag zum klimaresilienten Umbau der urbanen Landschaft. Denn: „Aufbauend auf unserer Machbarkeitsstudie haben wir ein spezielles Mulden-Rigolen-System zur Oberflächenentwässerung geplant und umgesetzt, um das Regenwasser der Straße, aber auch der angrenzenden Bebauung, dezentral und kontrolliert an den nahen Marbach abzugeben“, erklärt Alexander Brunne.

480Kubikmeter Gesamtspeicher für Regenwasser
75Liter pro Sekunde dürfen in den Marbach eingeleitet werden

Ein in Bochum bis dato einmaliges Vorhaben, das auch optisch auffällt: Dort, wo zuvor noch alte Straßenbahnschienen verliefen, trennt heute auf gut 390 Metern eine bepflanzte, ein bis drei Meter breite Mulde in Form von bepflanzten Tiefbeeten die beiden Fahrbahnen der Hattinger Straße voneinander. Ein in Summe etwa 240 Kubikmeter großes Sammelbecken für Regenwasser, unter dem ein System von weiteren Speicherkörpern, sogenannten Rigolen, verbaut wurde. Was zunächst wenig spektakulär klingt, stellte in Planung und Umsetzung hohe Anforderungen an die Essener Ingenieurinnen und Ingenieure: Es galt, die Straßenentwässerung sowie die angrenzenden Grundstücke und Gebäude vom Mischwasserkanal abzukoppeln und stattdessen ein neues Regenwasser-System im Sinne eines Schwammstadt-Konzeptes zu installieren.

Investitionen in eine zukunftsfähige Infrastruktur

Investitionen in eine zukunftsfähige Infrastruktur
Die Gesamtkosten für den Umbau der Hattinger Straße in Bochum belaufen sich laut Angaben der Stadt auf rund neun Millionen Euro. Das Land NRW stellte Fördermittel in Höhe von etwa 5,85 Millionen Euro (65 Prozent) zur Verfügung, und auch die Emschergenossenschaft (EGLV) hat das Vorhaben mit insgesamt 300.000 Euro unterstützt.

Das Vorbild liefert die Natur: Ein Schwamm nimmt sehr viel Wasser auf, speichert es und gibt es nur langsam wieder ab. Und genau mit diesem Prinzip lässt sich in urbanen Räumen, insbesondere in stark versiegelten Innenstädten, punkten. Denn hier fehlt es oft an grünen Freiflächen, die genau diese Schwammfunktion übernehmen und die über die Verdunstungsleistung zusätzlich für Abkühlung sorgen. Die Folge: Hitzeinseln – und enorme Ressourcenverluste für den natürlichen Wasserkreislauf. Denn statt ins Grundwasser zu versickern, fließt das Regenwasser über die versiegelten Flächen meist direkt in die Mischwasserkanalisation und dann zur Kläranlage. Gerade im innerstädtischen Straßenbau war dieses Prinzip bislang meist die Regel.

5,85 MioEuro Fördermittel vom Land NRW
300 TsdEuro Unterstützung von der Emschergenossenschaft EGLV

Das Essener Planungsteam wollte aufzeigen, dass es auch anders geht, musste dafür in Bochum allerdings gleich mehrere örtliche Gegebenheiten miteinplanen: das Längsgefälle der Straße, einen recht engen Straßenquerschnitt von lediglich 20 bis maximal 30 Metern sowie vor allem die unter dem Gelände verlaufende U-Bahnlinie, was, so Brunne, „noch einmal ganz besondere Anforderungen an die Dichtigkeit der Anlage gestellt hat“. Versickern, das war von vornherein klar, war hier keine Option. Dabei entspricht genau das eigentlich der Funktionsweise einer Rigole, welche die gespeicherte Flüssigkeit dosiert an die tieferen Bodenschichten und damit letztlich ans Grundwasser abgibt. „Wir haben den Anlagentyp gemeinsam mit der Herstellerfirma also so umgebaut, dass wir ihn als Retentionsspeicher, als Rückhaltebecken, nutzen können. Über einen Abfluss leiten wir das Wasser dann mit dem Längsgefälle unterirdisch Richtung Marbach und führen es so wieder dem lokalen Kreislauf zu.“ Ein „simpler“ Kanalanschluss an den natürlichen Bach war mit Blick auf die Gewässerökologie keine Alternative. „Wir können ja nicht einfach unbegrenzt und ungedrosselt Wasser einleiten. Die Beschränkung lag hier bei etwa 75 Litern pro Sekunde.“ Heißt: 75 Liter pro Sekunde fließen maximal aus der Rigole – der Rest wird im Speicherkörper zurückgehalten. 

Um auf kleinem Raum ein möglichst großes Speichervolumen zu schaffen, plante das papadakis-Team mit sogenannten Kunststoffrigolen, umgangssprachlich gern als „Cola-Kisten“ bezeichnet, die im innerstädtischen Raum regelhaft zum Einsatz kommen. „Dieser Kunststoffkörper bildet einen Stützrahmen und ist statisch so ausgelegt, dass er auch überdeckt und befahren werden kann. Der Vorteil ist, dass man damit den gesamten Graben auch als Speicherraum aktivieren kann. Eine solche Rigole ist also richtig effizient.“ An der Hattinger Straße wurden insgesamt vier Rigolen-Speicherkaskaden mit einem Gesamtspeichervolumen von etwa 480 Kubikmetern verbaut. 

Wasser zu sammeln und gedrosselt abzuleiten war indes nur ein Teil der Aufgabe. Ein weiterer bestand in der Reinigung des Oberflächenwassers. Brunne: „Die Dachabflüsse der umliegenden Gebäude haben wir direkt an die Rigolen angeschlossen, denn darüber wird ja lediglich sauberes Regenwasser eingeleitet. Anders sieht es mit dem Wasser der Straße aus, das durchaus Schadstoffe enthält.“ Und hier kommt der oberirdische Teil des Systems in Spiel: Die Anlage wurde in einen eigens konstruierten Trog aus Beton-L-Steinen eingebettet, die man alle drei Meter deutlich abgesenkt hat, damit das Wasser in die Mulde fließen kann. Hier wird es angestaut und versickert zeitverzögert durch eine 30 bis 50 Zentimeter hohe Bodenzone in die Rigolen. „Diese Bodenschichten wirken wie ein Filter und reinigen das Wasser vor, bevor es dann durch das unterirdische System an den Bach weitergeleitet wird.“ Überlaufhütchen wiederum garantieren, dass etwa bei temporären Starkregenereignissen eine gefährliche Überflutung der Straße ausgeschlossen ist, „weil dann das Wasser auf direktem Weg in die Rigolen fließen kann“.

All das, resümiert Brunne, „ist in Planung und Ausführung natürlich deutlich komplexer als es etwa der Bau eines Ableitungskanals“. Die Vorteile in Sachen städtisches Mikroklima und Gewässerökologie allerdings seien enorm. „Wirklich vorangebracht hat uns dabei die Tatsache, dass sich hier verschiedene lokale und regionale Gewerke eng miteinander verzahnt haben, um diese wirklich umfangreiche Straßensanierung und unsere Anlage zu realisieren. Das ging schon damit los, dass die Bochumer Straßenplanerinnen und -planer wissen mussten, dass das Wasser künftig zur Mitte der Straße und nicht zum Rand laufen muss.“ Und auch mit den Herstellerfirmen, etwa dem Unternehmen Funke aus Hamm, das die Rigolen lieferte, habe man in engem Austausch gestanden, um die Modifizierungen umzusetzen. „Das ist alles in allem sicher kosten- und zeitaufwendig, da sind Absprachen nötig und da muss man auch mal Kompromisse finden. Aber es ist wichtig, dass solche neuartigen stadtplanerischen Projekte überhaupt umgesetzt werden. Denn nur so können wir auch Erfahrungen für die Zukunft sammeln und das Ganze weiter optimieren.“

Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Bochum

Seit Ende 2023 gibt in Bochum eine gesamtstädtische Nachhaltigkeitsstrategie den Handlungsrahmen für ein „zukunftsorientiertes Leben und gegen die Klimakrise“ vor. Das Programm bündelt die Initiativen „Klimaplan Bochum 2035“ und „Global Nachhaltige Kommune (GNK) NRW“ und verknüpft auf diese Weise zentrale ökologische, ökonomische und soziale Ziele. Konkrete Maßnahmenpakete gehen unter anderem Themen wie kommunale Wärmeplanung, Energieeffizienz, Klimaresilienz, Lebensmittelverschwendung und Trinkwasserbrunnen an. Bereits 2019 hatte Bochum den Klimanotstand ausgerufen und prüft mittlerweile bei allen größeren anstehenden Bauprojekten im Zusammenhang mit Straßen, Wegen oder Plätzen, ob Maßnahmen des Schwammstadtprinzips integriert werden können. 

Text: Redaktionsbüro Schacht11  
Bilder: Stadt Bochum

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